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L’ÎLOT

Am Rande eines Arbeiter_innenviertels in Lausanne sollen sich an einem Fluss nachts mysteriöse Dinge zugetragen haben. Nun ist es an den beiden Wachmännern Ammar und Daniel, Tag und Nacht ihre Runden zu drehen und die Gegend zu sichern. Ammar ist neu im Job. Im Spazieren vertiefen sie sich in einen kollegialen Austausch über Zugehörigkeiten und neue Anfänge. Gemeinsame kontemplative Rundgänge, die zwischen Komik und Absurdität schwanken. Während sie nach dem Rechten sehen, werden sie von den Balkonen der umliegenden Wohnblöcke kritisch beäugt. Ein Spiel zwischen Beobachten und Beobachtet-werden entsteht. Im Spannungsfeld alltäglicher Banalität und magischem Realismus inszeniert Tizian Büchi die Geschichte einer Freundschaft zweier Wachleute und hinterfragt dabei subtil die Sicherheitsfantasien einer Überwachungsgesellschaft.

UN PETIT FRÈRE

Rose zieht mit ihren beiden Söhnen Jean und Ernest Anfang der 1980er Jahre von Abidjan nach Paris. Zwischen Unabhängigkeit, Lohnarbeit, Herzschmerz und der Herausforderung, als alleinerziehender Elternteil ihren Kindern genügend Aufmerksamkeit und Fürsorge zuteil werden zu lassen, entstehen Fugen, in denen sie immer wieder verschwindet. UN PETIT FRÈRE erzählt die sich über zwei Jahrzehnte erstreckende intime Geschichte einer Familie. Zeitsprünge und Perspektivenwechsel quer durch unterschiedliche Lebensabschnitte verdeutlichen die wechselhafte Beziehung zwischen den drei Protagonist_innen. In Schichten legt sich das Erleben der Figuren übereinander und ergibt ein teils dissonantes Bild einer komplexen, geteilten Erfahrungswelt. In berührenden Erzählgesten werden die Übergangszonen zwischen Aufwachsen, Zusammenleben und Auseinanderdriften erkundet. Nähe und Distanz auf engem Raum, zwischen der Metropole Paris und der Hafenstadt Rouen in der französischen Normandie. Subjektive Strategien im Bewältigen und Gestalten von Leben und Alltag, im Zeichnen einer Zukunft und im Streben nach Verbundenheit und Intimität. Ein Dreiergespann, das Formen von Gemeinschaft in stetiger Veränderung neu erfindet.

KOKOMO CITY

Morgenroutinen und Gespräche im Bett, Gossip und Real Talk. In Begegnungen und Interviews porträtiert D. Smith vier Schwarze trans* Sexarbeiterinnen in New York und Georgia. Ungeschönt und lustvoll erzählen die Protagonistinnen aus ihrem Leben. Dabei entzünden sich tiefgehende und leidenschaftliche Gespräche über verstrickte gesellschaftspolitische und soziale Realitäten genauso wie scharfe Analysen über Zugehörigkeit und Identität innerhalb der eigenen Communities. In eindringlichen Schwarz-Weiß-Bildern zu einem bewegten Soundtrack entsteht ein Flow an selbstbestimmten Inszenierungen, performativen Interventionen und assoziativen Collagen. Zwischen Stereotypisierung und Care, Gewalt und Fetischisierung, Begehren und Zugewandtheit werden hier die Beziehungsgeflechte zu Lovers, Freund_innen und Familien, zu Communities und Kontexten in all ihrer Komplexität und Ambiguität nachgezeichnet. KOKOMO CITY ist eine Wucht an widerständigen Erzählungen und lustvollen Kämpfen, die sich von Dominanzgesellschaften nicht gegeneinander ausspielen lassen.

LINGUI

Amina lebt mit ihrer 15-jährigen Tochter Maria in einem Vorort von N’Djamena. Durch Upcycling alter LKW-Reifen zu Feuerschalen verdient sie ihren Lebensunterhalt. Als Maria schwanger wird und sich zu einem Schwangerschaftsabbruch entschließt, ist Amina mit der Realität restriktiver Gesetzgebung und religiöser Verurteilung konfrontiert. Sie setzt alles daran, ihre Tochter dabei zu unterstützen, den bereits ihr selbst widerfahrenen Zyklus sexualisierter Gewalt zu durchbrechen und schlussendlich Rache zu üben, um an den strukturellen Mechanismen patriarchaler Vorherrschaft zu rütteln. LINGUI ist ein kraftvolles Plädoyer für Tatkraft und Resilienz angesichts widrigster Umstände. Mutter und Tochter erfahren Solidarität und Kinship durch den von Generation zu Generation weitergelebten Zusammenhalt unter Frauen im sozialen Gefüge, genannt Lingui, das heilige Band. (dp)

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Wegen Sturmwarnung konnte die Vorführung von LINGUI im Juli bei Kaleidoskop – Film und Freiluft am Karlsplatz 2022 leider nicht stattfinden. Wir freuen uns umso mehr, die Wien-Premiere des Films nun im Rahmen einer winterlichen Matinée im Filmcasino (Margaretenstr. 78, 1050 Wien) zu feiern.

Eintritt frei!
Freikarte reservieren: filmcasino.at/film/lingui/

Barrierefreiheit
• Barrierefreier Zugang
• Induktionsanlage für Träger_innen von Hörgeräten/-implantaten
• Werkseinführung mit Dolmetschung in Österreichische Gebärdensprache
• Film: Arabisch/Französisch mit englischen & deutschen Untertiteln für gehörlose und schwerhörige Menschen

Herzlichen Dank der Bezirksvorstehung & Kulturkommission Margareten und dem Filmcasino-Team für die Unterstützung!

GIVE ME LIBERTY

Milwaukee, USA. Die Nerven zum Zerreißen gespannt, kämpft Fahrtendienstmitarbeiter Vic gegen die Umstände und die Zeit. Ausgerechnet an diesem ohnehin schon dichten Arbeitstag müssen sein aus Russland emigrierter Großvater und dessen Freund_innen zu einem Begräbnis chauffiert werden. Auch sie finden in Vics Kleinbus und in der improvisierten Zweckgemeinschaft Platz. Weil die Straßen auf ihrer üblichen Route aufgrund von Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt gesperrt sind, muss Vic umdenken. Im Versuch, das sich anbahnende Chaos zu kontrollieren, verzettelt er sich zunehmend in Verpflichtungen, Beschwichtigungen, Bedürfnissen der ihm anvertrauten Passagier_innen und eigenen Träumen. Kirill Mikhanovskys turbulentes wie berührendes Großstadt-Roadmovie GIVE ME LIBERTY ist eine kinetische Erfahrung von immenser Wucht und Wahrhaftigkeit. Die neue Route ist gesäumt von jenen kleinen magischen Momenten zwischenmenschlicher Begegnungen und Solidarität, die uns durch den Tag tragen – auch wenn man zunächst bereut hat, überhaupt aufgestanden zu sein. (lm)

MONEYBOYS

Fei hat das Dorf, in dem er aufgewachsen ist, zurückgelassen und verdient seinen Lebensunterhalt in Beijing als Sexarbeiter, als Moneyboy. In der Großstadt trauert er seiner ersten Liebe, seinem Mentor Xiaolai, nach und muss sich im Spannungsverhältnis zwischen vielfältigen Lebensentwürfen und ökonomischer Verantwortung für seine Familie behaupten. Die unerwartete Wiederbegegnung mit seinem Jugendfreund Long fordert das fragile Gleichgewicht heraus. In seinem ersten Langspielfilm gelingt es C.B. Yi mit kluger Beobachtungsgabe Feinheiten und Zwischentöne von Lebensentwürfen in einer patriarchal strukturierten Gesellschaft einzufangen. In langen visuell eindrucksvollen Einstellungen gibt MONEYBOYS Zeit zum Mitfühlen, erzählt explizit, lässt aber auch bewusst narrative Lücken und gibt so Raum für Imagination. (dp)

FREDA

Inspiriert von persönlichen Erfahrungen, öffnet uns Gessica Généus mit ihrem Spielfilmdebüt die Türen zu einer Familiengeschichte inmitten des vibrierenden Port-au-Prince. FREDA zeichnet die Beziehung der gleichnamigen Protagonistin zu ihrer älteren Schwester Esther und zu ihrer alleinerziehenden Mutter Jeannette, deren Lebenseinstellungen und Aspirationen ans Leben völlig konträre Richtungen aufweisen. Die Komplexität wirtschaftlicher Herausforderungen, patriarchaler Gesellschaftsstrukturen und politischer Instabilität stellen das Bleiben in Frage. Allen Widrigkeiten zum Trotz kämpft Freda, deren Name auf die Vodou-Göttin für Liebe und Fülle verweist, kompromisslos und zielstrebig für eine Existenz in Haiti. Die dokumentarischen Aufnahmen der Proteste in den Straßen von Port-au-Prince von 2018 gegen die Veruntreuung von PetroCaribe-Erdöllieferungen geben dem sozialen Aufbegehren durch ihre Unmittelbarkeit ein Gesicht. (dp)

EL GRAN MOVIMIENTO

Nach einem siebentägigen Marsch erreichen drei Minenarbeiter die bolivianische Hauptstadt La Paz. Hier wollen sie sich den Arbeiter_innenprotesten anschließen, Arbeit suchen und eine neue Existenz aufbauen. Doch die Eindrücke sind überfordernd, die Perspektiven rar und einer von ihnen, Elder, erkrankt an einem heftigen Fieber. Um ihm zu helfen, wird ein Schamane gerufen. Dessen düstere Visionen vom Untergang La Paz’ und der Welt scheinen auf rätselhafte Weise verschränkt mit der Erkrankung des jungen Mannes. EL GRAN MOVIMIENTO ist ein fiebriges, auf 16-mm-Filmmaterial gedrehtes traumwandlerisches und oft rätselhaftes Werk, dessen Aufmerksamkeit jenen Unsichtbaren in der Stadt gehört, die ignoriert werden, bevor sie am Ende ganz verschwinden. In einer Zoom-Bewegung ins Innere dieser Stadt präsentiert sich La Paz als undurchsichtiges Netz von Verbindungen – einer rigiden Unterscheidung zwischen Arm und Reich und ungerechten Verteilung von Gütern, die eine noch viel umfassendere Heilung nötig machen. (lm)

EUROPE

Krankenhaus. Post. Schwimmbad. Nächste Haltestelle: Europe, eine Siedlung am Stadtrand von Châtellerault. Das Leben von Zohra spielt sich genau dort ab, zwischen ihrer Wohnung, dem Kebabladen und Familienbesuchen in Europe, dem Krankenhaus und dem Pool. Es ist Sommer, die Straßen sind leer, es ist Urlaubszeit in Frankreich. Die Sonne heizt den Asphalt auf und der Pool bringt nicht nur Erfrischung. Die ersehnte Reise nach Algerien und das Visum ihres Mannes Hocine müssen warten. Zohra bekommt keine Verlängerung ihrer Aufenthaltsgenehmigung und verliert ihre Arbeit und ihre Wohnung. Die Perspektive wechselt und Zohra ringt damit, die gelebte Normalität zurückzuholen und aus der Unsichtbarkeit aufzutauchen. Im Kampf um einen Platz in Europa lassen imaginierte Zukunftsszenarien sie auf geisterhafte Weise transparent werden. (mch)

LA MIF

Alltag in einer Mädchen-Wohngemeinschaft in Genf. Schminken, Rauchen, Schimpfen und laute Musik. Konflikte und klärende Gespräche unter den Mädchen und Betreuer_innen gehören auch dazu. Die Darstellerinnen der Mädchen Audrey, Novinha, Précieuse, Justine, Alison, Caroline und Tamra, deren Biografien und Beziehungen untereinander sich nach und nach entfalten, stehen größtenteils zum ersten Mal vor der Kamera und teilen ungehemmt ihre junge Gefühlswelt. Die Dialoge sind teils improvisiert, teils von den jungen Schauspieler_innen selbst geschrieben, die Grenzen zwischen Spielfilm und Dokumentarfilm verschwimmen. In wiederkehrenden Sequenzen wie elliptischen Zeitschleifen, tauchen wir immer tiefer in die aufwühlenden Realitäten der Mädchen ein, während die Heimleiterin Lora mit den Mängeln des Jugendschutzsystems kämpft. (mch)