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EL ROSTRO DE LA MEDUSA

Marina wacht eines Morgens auf. Im Spiegel erkennt sie sich selbst nicht wieder. Ein ihr völlig unbekanntes Gesicht blickt ihr entgegen. Marina flüchtet sich ins Haus ihrer Eltern, wo sie die Fotoalben der Familie auf Ähnlichkeiten zwischen ihr und den Fotos ihrer Familie durchforstet. Zur Überprüfung ihrer Identität muss sie sich unüberbrückbaren Hürden bei Behörden stellen, auch die Suche nach einer Erklärung mit ärztlicher Unterstützung verläuft ins Leere und lässt sie ratlos zurück. Je mehr Zeit vergeht, umso stärker drängt sich die Frage auf, wer Marina denn ist, wenn sie ihrer Familie nicht mehr ähnlich sieht. Es eröffnet sich ein neues Leben, eines, das auf der Auseinandersetzung gründet, inwiefern unser Aussehen mit unserem Selbst und unserer Persönlichkeit zusammenhängt, welche Rolle andere nahestehende Personen dabei übernehmen und was Transition und Identitätsänderung in all ihren Facetten eigentlich bedeuten. THE FACE OF THE JELLYFISH ist eine komisch-absurde Konfrontation mit diesem neuen Verständnis von menschlicher Identität, auch ein augenzwinkernd grotesker Vergleich von Säugetieren, Reptilien, Vögeln und Wassertieren aller Art kommt dabei nicht zu kurz.

WOS TUR I? ÜBER DIE NOTWENDIGKEIT DES ERZÄHLENS

Erzählen als unermüdliche, widerständige, zutiefst feministische Praxis. Erzählen der eigenen Geschichte, Erzählen dessen, was allzu oft nicht gehört werden will. Maria Cäsar hat nie aufgehört zu erzählen. Übers Sprechen und Nicht-Sprechen im richtigen Moment. Über den Faschismus und über den Widerstand. Als Feministin und kommunistische Widerstandskämpferin hat sie sich dem antifaschistischen Kampf bis zu ihrem Tod im Jahr 2017 verschrieben. Barbara Wilding und ihre Editorin Maria Otter verdichten Aufnahmen aus dem Archiv mit Gesprächen über das Weiterwirken dieser Erzählpraxis im Jetzt. Ausgehend von der Frage „Wos tur I?“, mit der sie sich in der Steiermark in den 1930er Jahren angesichts des aufkeimenden Faschismus konfrontiert sah, erzählt Maria Cäsar sich im Film selbst, quer durch unterschiedliche Zeiten, Momente und Kontexte. Als Zeitzeugin bei Fanta und Chips mit Jugendlichen, im Fernsehinterview, beim Spritzertrinken mit Genossinnen und in ihrer Rolle im persönlichen und politischen Umfeld. Es entsteht das Bild einer Kämpferin, die keinen Zweifel daran lässt, dass die Dringlichkeit des fortwährenden Kampfes gegen den Faschismus und die Notwendigkeit des Erzählens über das Unaussprechbare für immer bestehen bleiben.

NAJSREЌNIOT ČOVEK NA SVETOT

Asja und Zoran, beide etwa Mitte vierzig, leben in Sarajevo und treffen einander an einem Samstagnachmittag bei einem Speed-Dating-Event in einem brutalistischen Hotelbau aus den 1980er Jahren. Ein Ausflug zu einem retro-futuristischen Ort, an dem eine retro-futuristische Veranstaltung stattfindet. In mehreren Runden stellen Paare einander unter Anleitung Fragen zu Lieblingsfarben und -geschmäckern sowie bevorzugten Jahreszeiten. In choreografierten Erzählbewegungen fallen Runde für Runde die persönlichen Schutzschichten der Teilnehmenden, unter denen schmerzhafte Erfahrungswelten aus ihrer Vergangenheit ans Tageslicht kommen. Gräben zwischen Betroffenheit und Schuld tun sich auf wie Kluften in der von 1992 bis 1996 für 1425 Tage belagerten Stadt Sarajevo. Basierend auf wahren Begebenheiten erzählt Teona Strugar Mitevskas Film von zufälligen Begegnungen, die die Traumata der Vergangenheit wieder aufleben lassen. NAJSREЌNIOT ČOVEK NA SVETOT ist eine Geschichte über die Unmöglichkeit, Verbindungen aufzubauen, über das amorphe Weiterwirken von Krieg, über Liebe und Absurdität. Ein filmisches Liebesgedicht an eine Stadt und deren offene Wunden.

THE TUBA THIEVES

Zwischen 2011 und 2013 verschwinden auf mysteriöse Weise Tubas aus Musikschulen in Los Angeles. Der Film begleitet Nyke Prince und Geovanny Marroquin, die fiktionalisierte Versionen ihrer selbst verkörpern, über die Jahre der Überfälle. In ihrem Debütfilm nähert sich Alison O’Daniel den Auswirkungen dieser Ereignisse aus einer unerwarteten Perspektive. Denn um gestohlene Tubas geht es eigentlich nicht, sondern vielmehr darum, was es bedeutet, zuzuhören. Die Geschichten der Protagonist_innen werden mit Reenactments von avantgardistischen Konzerten verschränkt, die „Stille“ zelebrieren – etwa John Cages 1952 uraufgeführtes Werk 4’33”. Den erzählerischen Faden zwischen Zeiten und Orten bildet nicht nur das Verhältnis von Gehörlosigkeit zur Musik, sondern auch ein Gefühl dafür, wie Menschen, Tiere, Pflanzen und die Umwelt durch Klang, Musik, Lärm und die Anwesenheit ihrer vermeintlichen Abwesenheit beeinflusst und verbunden sind. Aus dieser vielschichtig-hybriden Kinematografie entsteht ein warmherziges und ausgelassenes Porträt einer Gruppe an Gehörlosen Protagonist_innen in Los Angeles.

VAI E VEM

Seit Längerem schon hatten Fernanda Pessoa und Chica Barbosa eine Zusammenarbeit geplant, in der sie sich die politische und kollektive Agency des Kinos zunutze machen. 2020 führt die Sehnsucht der beiden Filmemacherinnen, sich auszutauschen, zu einer Reihe von audiovisuellen Essays zwischen São Paulo und Los Angeles. Ein Dialog in Form von Video-Letters, entstanden in kollaborativer und offener Autor_innenschaft, wird zum Ausdruck einer experimentellen feministischen Filmpraxis. Im Drei-Wochen-Takt entsteht ein filmischer Briefwechsel, der auf Intimität und Freund_innenschaft gründet und mit Arbeiten von 16 weiteren inspirierenden Experimentalfilmemacherinnen in Bezug gesetzt wird. Ein Spiel mit Formen und Formaten sowie Einblicken in das, was die Autorinnen bewegt und einander im Leben mitgeteilt werden möchte. VAI E VEM zeichnet eine Momentaufnahme Brasiliens und der USA in politisch turbulenten Zeiten und ist eine sinnliche Annäherung an Kommunikation in stetiger Veränderung, eine formale Manifestation der physischen Nähe zweier Freundinnen, die sich über die Distanzen zwischen den nördlichen und südlichen Amerikas hinwegsetzt.

NIGHT RAIDERS

CLOSING NIGHT

In einer dystopischen Zukunft sind in Nordamerika die demokratischen Gesellschaften zusammengebrochen. Kinder gelten als staatlicher Besitz. Sie werden von ihren Eltern getrennt und in Internaten zu Kämpfer_innen für das Militär-Regime ausgebildet. Niska hat mit ihrer elfjährigen Tochter Waseese bisher in der Wildnis überlebt. Als Waseese nach einer schweren Verletzung entdeckt und interniert wird, schließt Niska sich einer First-Nations-Untergrundorganisation an, die die entführten Kinder zurückholen will. Indessen lernt Waseese, in sich außergewöhnliche Kräfte zu entfesseln. Die kanadische Regisseurin und Drehbuchautorin Danis Goulet entwirft mit NIGHT RAIDERS eine ebenso verstörende wie poetische Parabel auf die Situation der First Nations in Nordamerika. In den Sprachen der Cree hält sie den an ihnen begangenen Verbrechen und der versuchten Auslöschung ihrer Kulturen eine packende universelle Erzählung über Resilienz, Mut und Liebe entgegen. (lm)

NO TÁXI DO JACK

Joaquim steht kurz vor der Pensionierung, als Portugal von einer Wirtschaftskrise getroffen wird. Arbeitsamt, Arbeitssuche und Vorstellungsgespräche bestimmen seinen Alltag. Mit Pomade im Haar, der perfekten Elvis-Tolle und bunt gemusterten Hemden steuert Joaquim gelassen von Gespräch zu Gespräch und von Firma zu Firma, im Wissen nie wieder aktiv ins Arbeitsleben einzusteigen. Die Stempel müssen dennoch gesammelt werden, um seine Bemühungen beim Arbeitsamt vorweisen zu können. Seine Fahrten führen in lichtdurchfluteten Bildern auf 16-mm-Filmmaterial durch verlassene Industrielandschaften und vorbei an stillgelegten Fabriken. Reflexionen über Zeit und Alltag verweben biografische Versatzstücke mit Fragmenten der jüngsten Geschichte Portugals. Joaquims Erzählungen zeichnen eine Landkarte von Erinnerungen und kartographieren sein Erleben als Taxifahrer im New York der 1970er Jahre. Im Kopf entstehen traumhafte Bilder eines bewegten Lebens in einer pulsierenden Stadt. (mch)

KRAI

Mit dem Vorhaben einen »historischen Film« drehen zu wollen, reist der in Russland geborene Regisseur Aleksey Lapin mit einem Filmteam von Wien nach Jutanovka, jenes nahe bei der ukrainischen Grenze liegende Heimatdorf seiner Verwandten, in dem er früher selbst jeden Sommer verbracht hat. Inmitten der Dorfrealität von Volksfest, Kirchgang und Arbeitsalltag entsteht ein filmisches Spiel zwischen Team und Dorfgemeinschaft. Ein Casting wird abgehalten, am Fluss über das Kino sinniert und der Drehprozess selbst reflektiert. Krai bedeutet auf Russisch Rand oder Grenze. Mit feiner Ironie und liebevollem Interesse für Wunderliches wandelt auch der Film an den Grenzen von Dokumentarfilm und Spielfilm, zeitlos und zeitnah zugleich in Schwarzweiß gesetzt. Zwischen inszenierten Szenen und alltäglichen Beobachtungen entsteht ein Bild der Realität, das sich eindeutigen Zuschreibungen entzieht. Über ihm steht die Vision: »Das Kino muss verschiedene Welten zusammenbringen, unterschiedliche Leute verbinden. Und uns am Ende daran erinnern, dass wir Teil einer Menschheit sind.« (lm)

UNCOMFORTABLY COMFORTABLE

Brooklyn, New York. Eine Vereinbarung zwischen Filmemacherin und Protagonist. Eine ständige Ausverhandlung von Nähe und Distanz. Textnachrichten und Notizen am Fahrradlenker, Verabredungen in der Bibliothek und gemeinsame Fahrten durch die Stadtlandschaft. Marc Thompson spricht über Unausweichlichkeiten in einem rassistischen System. Über die Funktion von Gefängnismauern, strukturelle Gewalt unsichtbar zu halten. Über das Stigma von Wohnungslosigkeit, die Scham über Vergangenes und das (Um-)Schreiben der eigenen Geschichte. Beobachtungen, prosaische Momente, Fragmente von Erinnerung und Traumata. Alleine in Bewegung. Routinen und Brüche – Rituale im Fitnesscenter, im Waschsalon, Autoreparaturen, ein kurzer Krankenhausaufenthalt. Sehnsucht – nach Verbindung, nach Teilhabe, nach Bewegung – nach Leben. Klar, ruhig und angespannt, inmitten einer lauten, schnellen Stadt. (dca)

QUE DIEU TE PROTÈGE

In den 1960er Jahren migrierten die jüdischen Großeltern der Filmemacherin Cléo Cohen von Algerien und Tunesien nach Frankreich. In ihrem Debütfilm QUE DIEU TE PROTÈGE begibt sie sich auf Spurensuche in ihrer eigenen Familiengeschichte, um der Frage auf den Grund zu gehen, ob sie sich entscheiden muss zwischen jüdischem und arabischem kulturellen Erbe. Mit einer gehörigen Portion Humor dokumentiert Cléo Cohen die Gespräche mit ihren vier Großeltern, die weit weniger auskunftsfreudig sind als erhofft und den Enthusiasmus der Enkelin kaum erwidern. Ihre Suche, durch die sie sich zeitweise in Gedanken, in den Schriften von Albert Memmi zu Dekolonisierung, in der Badewanne und in Tanzsequenzen treiben lässt, führt die Filmemacherin schlussendlich in ein völlig verändertes Tunis, wo sie nicht das vorfindet, was ihre Großmutter zurückgelassen hat. (dp)