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FREDA

Inspiriert von persönlichen Erfahrungen, öffnet uns Gessica Généus mit ihrem Spielfilmdebüt die Türen zu einer Familiengeschichte inmitten des vibrierenden Port-au-Prince. FREDA zeichnet die Beziehung der gleichnamigen Protagonistin zu ihrer älteren Schwester Esther und zu ihrer alleinerziehenden Mutter Jeannette, deren Lebenseinstellungen und Aspirationen ans Leben völlig konträre Richtungen aufweisen. Die Komplexität wirtschaftlicher Herausforderungen, patriarchaler Gesellschaftsstrukturen und politischer Instabilität stellen das Bleiben in Frage. Allen Widrigkeiten zum Trotz kämpft Freda, deren Name auf die Vodou-Göttin für Liebe und Fülle verweist, kompromisslos und zielstrebig für eine Existenz in Haiti. Die dokumentarischen Aufnahmen der Proteste in den Straßen von Port-au-Prince von 2018 gegen die Veruntreuung von PetroCaribe-Erdöllieferungen geben dem sozialen Aufbegehren durch ihre Unmittelbarkeit ein Gesicht. (dp)

HOW THE ROOM FELT

Das Zimmer, auf das sich der – einem Gedicht von Audre Lorde entlehnte – Titel von Ketevan Kapanadzes Dokumentarfilmdebüt bezieht, ist einer der Safe Spaces, den sich eine kleine Gruppe queerer junger Menschen in der georgischen Stadt Kutaisi geschaffen hat. Einige von ihnen spielen gemeinsam in einem Fußballteam. Sie sind zu einer Wahlfamilie geworden, teilen Wohnraum und Alltag, Fürsorge und Zusammenhalt. Die Zukunft hängt über den gemeinsamen Momenten, in denen geraucht, getrunken und diskutiert wird. Wichtiger aber ist die Zeit jetzt, das Zusammensein. Doch während die geteilten Räume und das gemeinsame Abhängen wie ein Schutz wirken, bricht mit den in die Wohnung dringenden menschenverachtenden Parolen der queerfeindlichen Demonstrant_innen auch eine andere Realität herein. HOW THE ROOM FELT ist der behutsame Versuch, ein Gefühl einzufangen und in den Kinoraum zu tragen: Der Zusammenhalt einer Gruppe, die sich gegen die Anfeindungen von außen selbst stärken muss, und sich das Recht Vertrautheit, Intimität und Entspannung zu genießen nicht nehmen lassen will. (lm)

LA MIF

Alltag in einer Mädchen-Wohngemeinschaft in Genf. Schminken, Rauchen, Schimpfen und laute Musik. Konflikte und klärende Gespräche unter den Mädchen und Betreuer_innen gehören auch dazu. Die Darstellerinnen der Mädchen Audrey, Novinha, Précieuse, Justine, Alison, Caroline und Tamra, deren Biografien und Beziehungen untereinander sich nach und nach entfalten, stehen größtenteils zum ersten Mal vor der Kamera und teilen ungehemmt ihre junge Gefühlswelt. Die Dialoge sind teils improvisiert, teils von den jungen Schauspieler_innen selbst geschrieben, die Grenzen zwischen Spielfilm und Dokumentarfilm verschwimmen. In wiederkehrenden Sequenzen wie elliptischen Zeitschleifen, tauchen wir immer tiefer in die aufwühlenden Realitäten der Mädchen ein, während die Heimleiterin Lora mit den Mängeln des Jugendschutzsystems kämpft. (mch)

DIDA

Ein charmant chaotisches Hin und Her, zwischen Belgrad und der Schweiz. Hier Mutter und Großmutter, dort Partner_innenschaft und ein großer Teil des eigenen Seins. Alltag zwischen unterschiedlichen Städten, Bedürfnissen und Geschwindigkeiten. Nachdem die Großmutter, die ihr Leben lang für seine Mutter Sorge trug, in Belgrad stirbt, verschieben sich für Nikola Verantwortlichkeiten und Prioritäten. Ausgeschnapst werden nun Bedingungen von Abhängigkeit und Unabhängigkeit, die der eigenen und die von Dida, Nikolas Mutter. Grenzgänge im ständigen Scheitern und Nachjustieren. Die Beteiligten verlieren dabei zwar nie Liebe und Witz, aber manchmal kurz sich selbst. Videotelefonate und Schnaps am Grab. Wohnungswechsel, ein rotes Sofa, Fleecedeckentürme, ein Babyhund und Dekokram. Stetig wird im Familiengefüge umdekoriert auf der ewigen Baustelle Leben. (dca)

QUE DIEU TE PROTÈGE

In den 1960er Jahren migrierten die jüdischen Großeltern der Filmemacherin Cléo Cohen von Algerien und Tunesien nach Frankreich. In ihrem Debütfilm QUE DIEU TE PROTÈGE begibt sie sich auf Spurensuche in ihrer eigenen Familiengeschichte, um der Frage auf den Grund zu gehen, ob sie sich entscheiden muss zwischen jüdischem und arabischem kulturellen Erbe. Mit einer gehörigen Portion Humor dokumentiert Cléo Cohen die Gespräche mit ihren vier Großeltern, die weit weniger auskunftsfreudig sind als erhofft und den Enthusiasmus der Enkelin kaum erwidern. Ihre Suche, durch die sie sich zeitweise in Gedanken, in den Schriften von Albert Memmi zu Dekolonisierung, in der Badewanne und in Tanzsequenzen treiben lässt, führt die Filmemacherin schlussendlich in ein völlig verändertes Tunis, wo sie nicht das vorfindet, was ihre Großmutter zurückgelassen hat. (dp)

RESIDUE

Jay kehrt nach Washington, D.C. zurück, um dort in der Nachbar_innenschaft seiner Kindheit ein Drehbuch zu entwickeln. Was bleibt übrig wenn man geht, was ist übrig wenn man wiederkommt? Wie lassen sich Erinnerungen und Fragmente von Vergangenem festhalten? In Schichten blenden Träume vom Zuhause der Kindheit, gegenwärtige und verdrängte Traumata ineinander. Eingeschrieben in eine Straße – Suchbewegungen, politische Dringlichkeiten und Gewalt. Gentrifizierung. Die Stadt in Veränderung. Entrückt und verschoben. Ein Versuch zu fassen, was nicht mehr zurückzuholen ist. Angetrieben von der Sehnsucht nach Verortung. Filme über Filme machen um in einer Dichte des Spezifischen Bilder für ein großes Ganzen zu finden. Bruchstückhaft, zwischen schillernden Momenten und Schmerz. Merawi Gerima gelingt mit seinem eindrucksvollen Spielfilmdebüt ein Einblick in die Erfahrungsdimensionen seines Protagonisten, dessen persönliche Motivation einer Rückkehr in die Kindheit von politischen Realitäten im Jetzt eingeholt wird. (dca)

LINGUI

Amina lebt mit ihrer 15-jährigen Tochter Maria in einem Vorort von N’Djamena. Durch Upcycling alter LKW-Reifen zu Feuerschalen verdient sie ihren Lebensunterhalt. Als Maria schwanger wird und sich zu einem Schwangerschaftsabbruch entschließt, ist Amina mit der Realität restriktiver Gesetzgebung und religiöser Verurteilung konfrontiert. Sie setzt alles daran, ihre Tochter dabei zu unterstützen, den bereits ihr selbst widerfahrenen Zyklus sexualisierter Gewalt zu durchbrechen und schlussendlich Rache zu üben, um an den strukturellen Mechanismen patriarchaler Vorherrschaft zu rütteln. LINGUI ist ein kraftvolles Plädoyer für Tatkraft und Resilienz angesichts widrigster Umstände. Mutter und Tochter erfahren Solidarität und Kinship durch den von Generation zu Generation weitergelebten Zusammenhalt unter Frauen im sozialen Gefüge, genannt Lingui, das heilige Band. (dp)

KAJILLIONAIRE

Armut macht unsichtbar. Und auf Unsichtbarkeit haben es Theresa und Robert mit ihrer mittlerweile erwachsenen Tochter Old Dolio angelegt, während sie sich mit viel Aufwand und wenig Erfolg durch sorgfältig orchestrierte Diebstähle und Betrügereien in Los Angeles über Wasser halten. Das eingespielte Familiengefüge gerät aus dem Gleichgewicht, als Melanie zum Trio stößt. Mit ihrer temperamentvollen, empathischen Natur wirbelt sie bald das von ihren Eltern dominierte Weltbild Old Dolios durcheinander. Klug, gewitzt und mit eigenwilliger Exzentrizität erzählt die Performance-Künstlerin, Schriftstellerin und Regisseurin Miranda July eine zärtliche Komödie über den Versuch, Nähe zuzulassen und Begehren zu wagen. Pointiert choreografierte Abstecher ins Absurde bieten sich als Schlupflöcher in einer betonierten und abgeklärten Welt an, die von einem Erdbeben erschüttert wird, das sich längst angekündigt hat.

GHOST TROPIC

Eingeschlafen in der letzten U-Bahn und am anderen Ende der Stadt wieder aufgewacht, schlägt sich Khadija auf ihrem nächtlichen Weg nach Hause durch die menschenleeren Straßen Brüssels. Einkaufshäuser, Siedlungen und Straßenecken werden zu Orten überraschender Begegnungen mit Menschen der Nacht. Alltägliche Situationen, behutsam auf 16-mm-Film eingefangen und in Sound Design eingebettet, das den nächtlichen Charakter der Stadt einfängt, werden durch die couragierte Protagonistin zu bedeutsamen Momenten. Das Streifen durch das nächtliche Leben in der Großstadt erzählt von Einsamkeit in einem unbekannten Zielland und veranlasst eine tiefe Reflexion über Wertschätzung sozialer Arbeitsrealitäten, solidarische Annäherung sowie kulturelle und religiöse Differenzen.

VICTORIA

In der Wüste Südkaliforniens liegt California City, eine in den 1950er Jahren geplante Stadt, die Los Angeles Konkurrenz machen sollte. Nur in den Sand gezogene Straßenzüge, verblasste Straßenschilder und einige wenige Siedlungen erinnern an die Mega-City, die bis heute nicht fertiggestellt wurde. Vor dieser abstrakten Kulisse lernen wir Lashay kennen, der seine turbulente Vergangenheit in L. A. hinter sich gelassen hat, um mit seiner Familie einen Neuanfang zu wagen. Über den Zeitraum von zwei Jahren begleiten wir das Suchen, Ankommen und Orientieren in dieser immensen Planstadt mitten in der Wüste. Virtuelle Stadtansichten, Handyvideos und dokumentarische Bilder lassen hoffnungsvolle Lebensrealität und gescheiterte Stadtimagination in einem gespaltenen Land aufeinandertreffen und geben Einblick in das Leben der wenigen Bewohner_innen einer geisterhaft leeren Stadt.