Events

KEIKO, ME WO SUMASETE

Basierend auf der Autobiografie der Gehörlosen Profiboxerin Keiko Ogasawara zeichnet Shô Miyake in KEIKO, ME WO SUMASETE eine beeindruckende Charakterstudie der willensstarken Boxerin Keiko, deren unbändiger Kampfgeist und Durchhaltevermögen auf die Probe gestellt wird, als sie sich neben den Kämpfen im Boxring beruflichen und emotionalen Herausforderungen stellen muss. Die Gesundheitsprobleme und das schwindende Augenlicht ihres Coachs überschatten zunehmend den Trainingsalltag. Die Situation spitzt sich zu, als die Schließung ihres Gyms in Tokio im Raum steht und der wohlwollende Support seitens ihres Bruders in allen Lebenslagen auf der Kippe steht. Gedreht auf 16mm in einem historischen Stadtteil von Downtown Tokio, erzählt der Film mit messerscharfer Präzision und mit feinstem Gespür von Entscheidungshorizonten im beeindruckenden Leben einer jungen Erwachsenen.

WOS TUR I? ÜBER DIE NOTWENDIGKEIT DES ERZÄHLENS

Erzählen als unermüdliche, widerständige, zutiefst feministische Praxis. Erzählen der eigenen Geschichte, Erzählen dessen, was allzu oft nicht gehört werden will. Maria Cäsar hat nie aufgehört zu erzählen. Übers Sprechen und Nicht-Sprechen im richtigen Moment. Über den Faschismus und über den Widerstand. Als Feministin und kommunistische Widerstandskämpferin hat sie sich dem antifaschistischen Kampf bis zu ihrem Tod im Jahr 2017 verschrieben. Barbara Wilding und ihre Editorin Maria Otter verdichten Aufnahmen aus dem Archiv mit Gesprächen über das Weiterwirken dieser Erzählpraxis im Jetzt. Ausgehend von der Frage „Wos tur I?“, mit der sie sich in der Steiermark in den 1930er Jahren angesichts des aufkeimenden Faschismus konfrontiert sah, erzählt Maria Cäsar sich im Film selbst, quer durch unterschiedliche Zeiten, Momente und Kontexte. Als Zeitzeugin bei Fanta und Chips mit Jugendlichen, im Fernsehinterview, beim Spritzertrinken mit Genossinnen und in ihrer Rolle im persönlichen und politischen Umfeld. Es entsteht das Bild einer Kämpferin, die keinen Zweifel daran lässt, dass die Dringlichkeit des fortwährenden Kampfes gegen den Faschismus und die Notwendigkeit des Erzählens über das Unaussprechbare für immer bestehen bleiben.

NAJSREЌNIOT ČOVEK NA SVETOT

Asja und Zoran, beide etwa Mitte vierzig, leben in Sarajevo und treffen einander an einem Samstagnachmittag bei einem Speed-Dating-Event in einem brutalistischen Hotelbau aus den 1980er Jahren. Ein Ausflug zu einem retro-futuristischen Ort, an dem eine retro-futuristische Veranstaltung stattfindet. In mehreren Runden stellen Paare einander unter Anleitung Fragen zu Lieblingsfarben und -geschmäckern sowie bevorzugten Jahreszeiten. In choreografierten Erzählbewegungen fallen Runde für Runde die persönlichen Schutzschichten der Teilnehmenden, unter denen schmerzhafte Erfahrungswelten aus ihrer Vergangenheit ans Tageslicht kommen. Gräben zwischen Betroffenheit und Schuld tun sich auf wie Kluften in der von 1992 bis 1996 für 1425 Tage belagerten Stadt Sarajevo. Basierend auf wahren Begebenheiten erzählt Teona Strugar Mitevskas Film von zufälligen Begegnungen, die die Traumata der Vergangenheit wieder aufleben lassen. NAJSREЌNIOT ČOVEK NA SVETOT ist eine Geschichte über die Unmöglichkeit, Verbindungen aufzubauen, über das amorphe Weiterwirken von Krieg, über Liebe und Absurdität. Ein filmisches Liebesgedicht an eine Stadt und deren offene Wunden.

EDELWEISS

Ein kritischer Liebesbrief an ein Land, das ein besserer Ort für diejenigen werden muss, die es seit Jahren zu einem besseren Ort machen. Der performative Dokumentarfilm verwebt selbstbestimmte Positionen und Sichtweisen von People of Colour in Österreich und fragt, welche Beziehung überhaupt zu einem Land lebbar ist, das von strukturellen Rassismen und Alltagsdiskriminierung durchdrungen ist. Im gemeinsamen Sprechen erscheinen Räume und Zwischenräume, die es möglich machen, sich zu verorten, zu empowern und selbstverständlich zu existieren. Anna Gaberscik montiert Performances und Interviews zu einer vielschichtigen Reflexion über zermürbende Kämpfe, dringliche Artikulationen und lustvolles Unterwandern von Identitätszuschreibungen – die komplizierte Liebesbeziehung all derer, die hier sind und deshalb auch von hier sind. EDELWEISS macht komplexe Verbindungen, Verbundenheiten und Bezogenheiten sichtbar und hält damit einer ebenso dominanten wie fragilen und unhaltbar weißen Identitätskonstruktion von Österreich den Spiegel vor.

KOKOMO CITY

Morgenroutinen und Gespräche im Bett, Gossip und Real Talk. In Begegnungen und Interviews porträtiert D. Smith vier Schwarze trans* Sexarbeiterinnen in New York und Georgia. Ungeschönt und lustvoll erzählen die Protagonistinnen aus ihrem Leben. Dabei entzünden sich tiefgehende und leidenschaftliche Gespräche über verstrickte gesellschaftspolitische und soziale Realitäten genauso wie scharfe Analysen über Zugehörigkeit und Identität innerhalb der eigenen Communities. In eindringlichen Schwarz-Weiß-Bildern zu einem bewegten Soundtrack entsteht ein Flow an selbstbestimmten Inszenierungen, performativen Interventionen und assoziativen Collagen. Zwischen Stereotypisierung und Care, Gewalt und Fetischisierung, Begehren und Zugewandtheit werden hier die Beziehungsgeflechte zu Lovers, Freund_innen und Familien, zu Communities und Kontexten in all ihrer Komplexität und Ambiguität nachgezeichnet. KOKOMO CITY ist eine Wucht an widerständigen Erzählungen und lustvollen Kämpfen, die sich von Dominanzgesellschaften nicht gegeneinander ausspielen lassen.

LINGUI

Amina lebt mit ihrer 15-jährigen Tochter Maria in einem Vorort von N’Djamena. Durch Upcycling alter LKW-Reifen zu Feuerschalen verdient sie ihren Lebensunterhalt. Als Maria schwanger wird und sich zu einem Schwangerschaftsabbruch entschließt, ist Amina mit der Realität restriktiver Gesetzgebung und religiöser Verurteilung konfrontiert. Sie setzt alles daran, ihre Tochter dabei zu unterstützen, den bereits ihr selbst widerfahrenen Zyklus sexualisierter Gewalt zu durchbrechen und schlussendlich Rache zu üben, um an den strukturellen Mechanismen patriarchaler Vorherrschaft zu rütteln. LINGUI ist ein kraftvolles Plädoyer für Tatkraft und Resilienz angesichts widrigster Umstände. Mutter und Tochter erfahren Solidarität und Kinship durch den von Generation zu Generation weitergelebten Zusammenhalt unter Frauen im sozialen Gefüge, genannt Lingui, das heilige Band. (dp)

—————–

Wegen Sturmwarnung konnte die Vorführung von LINGUI im Juli bei Kaleidoskop – Film und Freiluft am Karlsplatz 2022 leider nicht stattfinden. Wir freuen uns umso mehr, die Wien-Premiere des Films nun im Rahmen einer winterlichen Matinée im Filmcasino (Margaretenstr. 78, 1050 Wien) zu feiern.

Eintritt frei!
Freikarte reservieren: filmcasino.at/film/lingui/

Barrierefreiheit
• Barrierefreier Zugang
• Induktionsanlage für Träger_innen von Hörgeräten/-implantaten
• Werkseinführung mit Dolmetschung in Österreichische Gebärdensprache
• Film: Arabisch/Französisch mit englischen & deutschen Untertiteln für gehörlose und schwerhörige Menschen

Herzlichen Dank der Bezirksvorstehung & Kulturkommission Margareten und dem Filmcasino-Team für die Unterstützung!

NIGHT RAIDERS

CLOSING NIGHT

In einer dystopischen Zukunft sind in Nordamerika die demokratischen Gesellschaften zusammengebrochen. Kinder gelten als staatlicher Besitz. Sie werden von ihren Eltern getrennt und in Internaten zu Kämpfer_innen für das Militär-Regime ausgebildet. Niska hat mit ihrer elfjährigen Tochter Waseese bisher in der Wildnis überlebt. Als Waseese nach einer schweren Verletzung entdeckt und interniert wird, schließt Niska sich einer First-Nations-Untergrundorganisation an, die die entführten Kinder zurückholen will. Indessen lernt Waseese, in sich außergewöhnliche Kräfte zu entfesseln. Die kanadische Regisseurin und Drehbuchautorin Danis Goulet entwirft mit NIGHT RAIDERS eine ebenso verstörende wie poetische Parabel auf die Situation der First Nations in Nordamerika. In den Sprachen der Cree hält sie den an ihnen begangenen Verbrechen und der versuchten Auslöschung ihrer Kulturen eine packende universelle Erzählung über Resilienz, Mut und Liebe entgegen. (lm)

FREDA

Inspiriert von persönlichen Erfahrungen, öffnet uns Gessica Généus mit ihrem Spielfilmdebüt die Türen zu einer Familiengeschichte inmitten des vibrierenden Port-au-Prince. FREDA zeichnet die Beziehung der gleichnamigen Protagonistin zu ihrer älteren Schwester Esther und zu ihrer alleinerziehenden Mutter Jeannette, deren Lebenseinstellungen und Aspirationen ans Leben völlig konträre Richtungen aufweisen. Die Komplexität wirtschaftlicher Herausforderungen, patriarchaler Gesellschaftsstrukturen und politischer Instabilität stellen das Bleiben in Frage. Allen Widrigkeiten zum Trotz kämpft Freda, deren Name auf die Vodou-Göttin für Liebe und Fülle verweist, kompromisslos und zielstrebig für eine Existenz in Haiti. Die dokumentarischen Aufnahmen der Proteste in den Straßen von Port-au-Prince von 2018 gegen die Veruntreuung von PetroCaribe-Erdöllieferungen geben dem sozialen Aufbegehren durch ihre Unmittelbarkeit ein Gesicht. (dp)

EUROPE

Krankenhaus. Post. Schwimmbad. Nächste Haltestelle: Europe, eine Siedlung am Stadtrand von Châtellerault. Das Leben von Zohra spielt sich genau dort ab, zwischen ihrer Wohnung, dem Kebabladen und Familienbesuchen in Europe, dem Krankenhaus und dem Pool. Es ist Sommer, die Straßen sind leer, es ist Urlaubszeit in Frankreich. Die Sonne heizt den Asphalt auf und der Pool bringt nicht nur Erfrischung. Die ersehnte Reise nach Algerien und das Visum ihres Mannes Hocine müssen warten. Zohra bekommt keine Verlängerung ihrer Aufenthaltsgenehmigung und verliert ihre Arbeit und ihre Wohnung. Die Perspektive wechselt und Zohra ringt damit, die gelebte Normalität zurückzuholen und aus der Unsichtbarkeit aufzutauchen. Im Kampf um einen Platz in Europa lassen imaginierte Zukunftsszenarien sie auf geisterhafte Weise transparent werden. (mch)

HOW THE ROOM FELT

Das Zimmer, auf das sich der – einem Gedicht von Audre Lorde entlehnte – Titel von Ketevan Kapanadzes Dokumentarfilmdebüt bezieht, ist einer der Safe Spaces, den sich eine kleine Gruppe queerer junger Menschen in der georgischen Stadt Kutaisi geschaffen hat. Einige von ihnen spielen gemeinsam in einem Fußballteam. Sie sind zu einer Wahlfamilie geworden, teilen Wohnraum und Alltag, Fürsorge und Zusammenhalt. Die Zukunft hängt über den gemeinsamen Momenten, in denen geraucht, getrunken und diskutiert wird. Wichtiger aber ist die Zeit jetzt, das Zusammensein. Doch während die geteilten Räume und das gemeinsame Abhängen wie ein Schutz wirken, bricht mit den in die Wohnung dringenden menschenverachtenden Parolen der queerfeindlichen Demonstrant_innen auch eine andere Realität herein. HOW THE ROOM FELT ist der behutsame Versuch, ein Gefühl einzufangen und in den Kinoraum zu tragen: Der Zusammenhalt einer Gruppe, die sich gegen die Anfeindungen von außen selbst stärken muss, und sich das Recht Vertrautheit, Intimität und Entspannung zu genießen nicht nehmen lassen will. (lm)