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MIDNIGHT FAMILY

Den neun Millionen Menschen, die in in Mexiko-Stadt leben, stehen nur 45 staatliche Rettungswägen zur Verfügung. Aus dem dysfunktionalen staatlichen Gesundheitssystem ist ein Parallelsystem entwachsen, in dem das Retten von Menschenleben – ohne Ausbildung und Lizenz – ein Geschäftsmodell für Menschen ist, die dabei selbst um ihr Überleben kämpfen. In seinem Dokumentarfilm folgt Luke Lorentzen einer Familie, die einen solchen privaten Rettungswagen betreibt, in schwindelerregenden Nachtfahrten mit erhöhtem Puls durch die verstopften Straßen der Metropole. Unter den Ambulanzfahrer_innen herrscht großer Konkurrenzdruck, Korruption und Bestechung sind Teil eines vom systemimmanenten Mangel geprägten Alltags. Es ist ein Kampf, der die Protagonist_innen täglich an ihre Grenzen bringt, aufgerieben im wirtschaftlichen und moralischen Prekariat.

LUSALA

Als Kind wurde Lusala von einer wohlhabenden Familie adoptiert. Mit dem Umzug in seine eigene Wohnung und der neuen Selbständigkeit als Mechaniker beginnt für ihn ein neuer Lebensabschnitt. Doch anstatt als junger Erwachsener Zukunftspläne zu schmieden, muss sich Lusala seinem Innenleben stellen. Zunehmend wird er von traumatischen Erinnerungen an Gewalterfahrungen in seiner Kindheit eingeholt. Die Fragilität und Zerrissenheit Lusalas lässt das Storytelling zwischen dem Austragen innerer Kämpfe und der Auseinandersetzung mit den Geistern der Vergangenheit oszillieren. In seinem Regiedebüt berührt Mugambi Nthiga die emotionalen Tiefen einer Metropole. LUSALA erzählt von patriarchalen Gewaltstrukturen, klassenqueren Familiengefügen, Konstruktionen von Männlichkeit und der Verletzlichkeit im Erwachsenwerden.

VICTORIA

In der Wüste Südkaliforniens liegt California City, eine in den 1950er Jahren geplante Stadt, die Los Angeles Konkurrenz machen sollte. Nur in den Sand gezogene Straßenzüge, verblasste Straßenschilder und einige wenige Siedlungen erinnern an die Mega-City, die bis heute nicht fertiggestellt wurde. Vor dieser abstrakten Kulisse lernen wir Lashay kennen, der seine turbulente Vergangenheit in L. A. hinter sich gelassen hat, um mit seiner Familie einen Neuanfang zu wagen. Über den Zeitraum von zwei Jahren begleiten wir das Suchen, Ankommen und Orientieren in dieser immensen Planstadt mitten in der Wüste. Virtuelle Stadtansichten, Handyvideos und dokumentarische Bilder lassen hoffnungsvolle Lebensrealität und gescheiterte Stadtimagination in einem gespaltenen Land aufeinandertreffen und geben Einblick in das Leben der wenigen Bewohner_innen einer geisterhaft leeren Stadt.

AS BOAS MANEIRAS

Clara, eine Krankenschwester aus einem Vorort São Paulos, wird von der wohlhabenden, hochschwangeren Ana als zukünftige Kinderbetreuerin engagiert. Zwischen den beiden Frauen entwickelt sich bald eine enge Beziehung. Als in einer schicksalshaften Nacht das Kind geboren wird, ändert sich alles: Denn der Vollmond hat einen besonderen Einfluss auf das Baby. GOOD MANNERS ist ein fantastisches modernes Märchen über bedingungslose Liebe. Irritierend, unkonventionell und animalisch – letzteres allerdings nur bei Vollmond – greift der Film mithilfe von Elementen des Werwolf-Topos Themen wie Sexualität und Rassismus in der brasilianischen Gesellschaft auf.

INLAND

Im Jahr der Nationalratswahl 2017 begleitet Ulli Gladik eine Kellnerin, einen Arbeitssuchenden und einen Beamten in ihrem Alltag, alle drei FPÖ-Fans. Die Regisseurin verhandelt im Gespräch mit den Protagonist_innen Meinungen und Motive, Wünsche und Enttäuschungen. Dabei werden Arbeitsbedingungen und die Rolle der Gewerkschaften genauso Thema wie Rassismus und Xenophobie. Jenseits des oftmals nicht unproblematischen Motivs „mit Rechten zu reden“ gelingt Ulli Gladik hier Austausch und Begegnung auf Augenhöhe und das, ohne gewaltvolle politische Ideologie zu verharmlosen oder zu legitimieren.

HAIR WOLF

»Deine Haare sind so schön, darf ich sie mal anfassen?« Alarm! Die weißen Zombies kommen, und sorgen mit ihren Selfie-Sticks im Haarsalon für Aufruhr. Sie sehnen sich nach funky Rihanna Hairstyling, durchs Schaufenster ringen sie röchelnd um die Gunst von Braiding-Exzellenz. Surreal und gewitzt geht es in Mariama Diallos dystopischem Zombie-Slasher zu und in all der Farbenpracht kommt auch das politische Moment nicht zu kurz, wenn die weißen Haarwolfsauger_innen die in ihrer Ignoranz unübertreffliche Punchline verlautbaren: All Lives Matter!

RAY & LIZ

Mit berührender Offenheit nimmt der britische Fotograf Richard Billingham sein eigenes Leben zum Sujet seines Spielfilmdebüts: Den alkoholkranken Vater Ray, die kettenrauchende Mutter Liz, den jüngeren Bruder Jason, die Tristesse eines zunehmend verwahrlosenden Elternhauses in einem Vorort von Birmingham, in das er 1970 hineingeboren wurde. Zwischendurch immer wieder zarte Momente von Nähe und Optimismus, ohne je in den billigen Kitsch eines Feelgood-Movies abzudriften. Billingham ist mit den Dämonen der Vergangenheit versöhnt: »Ich bin glücklich. Und – Sie werden es nicht glauben – ich war auch als Kind glücklich. Ich war immer ein glücklicher Mensch. Denn ich kannte es damals nicht anders.«

SKATE KITCHEN

Camille lebt auf Long Island, einsam dreht sie ihre Runden im kleinen Skatepark um die Ecke, bis sie sich gegen den Willen ihrer alleinerziehenden Mutter der Skate Kitchen anschließt und mit der exzentrischen Mädchengang aus Manhattan durch den Großstadtdschungel von New York cruist. Auf den Brettern, die die Welt bedeuten, lernt Camille wahre Freund_innenschaft kennen. Crystal Moselle’s Spielfilmdebüt basiert auf dem Instagram Feed der realen Skate Kitchen. In lichtdurchfluteten Bildern, ständig in Bewegung, zeigt sie fluide und feministische Identitätskonstruktionen, Freiheit, Zusammenhalt und die Bedeutung von Gemeinschaft im Erwachsenwerden.

WHAT YOU GONNA DO WHEN THE WORLD’S ON FIRE?

Sommer 2017. Alton Sterling kommt durch rassistische Polizeigewalt zu Tode. Die wachsame Kamera folgt Protagonist_innen Louisianas und gibt Einblicke in die Realität von racial divide in allen Gesellschaftsbereichen. Gebannt beobachten wir jeden Blickwechsel, jedes Wortgefecht, jede Geste: die wortgewaltige Judy Hill, die unbeugsame Krystal Muhammad in der Black Panther Bewegung oder den 14-jährigen Ronaldo King, der seinem 9-jährigen Bruder Titus Turner zu zeigen versucht, sich in dieser Welt zurechtzufinden. Titelgebend für das eindringliche Schwarzweiß-Porträt ist der Song des Country- und Bluessängers Lead Berry als Mahnmal, dass Demokratie nicht verhandelbar ist.

SOFIA

Ein gewöhnliches Abendessen bei einer wohlhabenden Familie in Casablanca. Sofia fühlt sich unwohl, hat Bauchschmerzen und alsbald erkennt ihre Cousine den Blasensprung – 24 Stunden hat Sofia nun Zeit, einen Vater für das unerwartete Neugeborene zu bestimmen, um den strafrechtlichen Konsequenzen unehelich gelebter Sexualität zu entkommen. SOFIA ist ein packend in Szene gesetztes Drama: Verdrängte Schwangerschaft trifft auf Klassenfrage, Überrollt werden trifft auf Wunsch nach Liebe, un/gelebte Sexualität trifft auf Gesellschaftskritik, elterliche Erwartungshaltung trifft auf stille, jedoch entschlossene Rebellion der beeindruckenden Protagonistin. Am Ende nimmt Sofias Streben nach Selbstschutz eine gänzlich unerwartete Wendung.