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GIVE ME LIBERTY

Milwaukee, USA. Die Nerven zum Zerreißen gespannt, kämpft Fahrtendienstmitarbeiter Vic gegen die Umstände und die Zeit. Ausgerechnet an diesem ohnehin schon dichten Arbeitstag müssen sein aus Russland emigrierter Großvater und dessen Freund_innen zu einem Begräbnis chauffiert werden. Auch sie finden in Vics Kleinbus und in der improvisierten Zweckgemeinschaft Platz. Weil die Straßen auf ihrer üblichen Route aufgrund von Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt gesperrt sind, muss Vic umdenken. Im Versuch, das sich anbahnende Chaos zu kontrollieren, verzettelt er sich zunehmend in Verpflichtungen, Beschwichtigungen, Bedürfnissen der ihm anvertrauten Passagier_innen und eigenen Träumen. Kirill Mikhanovskys turbulentes wie berührendes Großstadt-Roadmovie GIVE ME LIBERTY ist eine kinetische Erfahrung von immenser Wucht und Wahrhaftigkeit. Die neue Route ist gesäumt von jenen kleinen magischen Momenten zwischenmenschlicher Begegnungen und Solidarität, die uns durch den Tag tragen – auch wenn man zunächst bereut hat, überhaupt aufgestanden zu sein. (lm)

HOW THE ROOM FELT

Das Zimmer, auf das sich der – einem Gedicht von Audre Lorde entlehnte – Titel von Ketevan Kapanadzes Dokumentarfilmdebüt bezieht, ist einer der Safe Spaces, den sich eine kleine Gruppe queerer junger Menschen in der georgischen Stadt Kutaisi geschaffen hat. Einige von ihnen spielen gemeinsam in einem Fußballteam. Sie sind zu einer Wahlfamilie geworden, teilen Wohnraum und Alltag, Fürsorge und Zusammenhalt. Die Zukunft hängt über den gemeinsamen Momenten, in denen geraucht, getrunken und diskutiert wird. Wichtiger aber ist die Zeit jetzt, das Zusammensein. Doch während die geteilten Räume und das gemeinsame Abhängen wie ein Schutz wirken, bricht mit den in die Wohnung dringenden menschenverachtenden Parolen der queerfeindlichen Demonstrant_innen auch eine andere Realität herein. HOW THE ROOM FELT ist der behutsame Versuch, ein Gefühl einzufangen und in den Kinoraum zu tragen: Der Zusammenhalt einer Gruppe, die sich gegen die Anfeindungen von außen selbst stärken muss, und sich das Recht Vertrautheit, Intimität und Entspannung zu genießen nicht nehmen lassen will. (lm)

BEATRIX

Beatrix verbringt den Sommer im Garten, in einem Haus am Stadtrand. Flirrende Hitze, Sonne auf der Haut, in der Hand ein Gartenschlauch. Zehen in der Luft und Weintrauben im Bauchnabel. Allein mit sich, nicht ganz, aber doch. Nichts tun, oder eben irgendetwas tun. Zähneputzen, in der Wiese liegen, ausziehen, umziehen. Manchmal kommt jemand vorbei. Sein ist irgendwie leicht und zugleich auch anstrengend. Auch wenn nicht wirklich viel passiert, passiert immer etwas. Am Himmel ziehen Wolken vorbei und vielleicht kitzelt das Gras im Rücken. Die Zeit zieht sich wie ein Kaugummi. Dosenpfirsich, Palatschinken und die Angst vor der Unendlichkeit. Im Teletext blitzt die Welt hinein und ins Außen wird übers Telefon gefunkt. Berührt wird alles und nichts, weil alles schön, lustig und seltsam nichtig zugleich ist. Entschleunigt und rätselhaft erzählt sich das Leben in den Tag. In traumnahen, präzisen Bildern entsteht ein fragiles und dennoch gewichtiges Gefüge zwischen Körper und Raum, in dem sich Möglichkeiten von Intimität und Erzählung offenbaren. (dca)

Q’S BARBERSHOP

Tagtäglich öffnet Quasim seinen mit grünen Pflanzen, roten Wänden und Ventilator ausgestatteten Barbershop im Erdgeschoß eines Gemeindebaus im dänischen Vollsmose. Seine zufriedenen Kunden erhalten hier frische fades und finishing touches. Während Q mit ruhiger Hand klare Linien schneidet, gibt er auch Raum für Eitelkeiten, zeigt Empathie für Ridwans Elefantentränen beim Haare auskämmen, hat ein offenes Ohr für den unglücklich verliebten Elias und für Fuads gewiefte Pläne, Dänemarks erster Außenminister zu werden, sowie für den jungen Yonis, der in den Ferien lieber nicht nach Hargeysa fahren will, aus Angst, dass er von einer Ziege im Schlafzimmer geweckt wird.

SKATE KITCHEN

Camille lebt auf Long Island, einsam dreht sie ihre Runden im kleinen Skatepark um die Ecke, bis sie sich gegen den Willen ihrer alleinerziehenden Mutter der Skate Kitchen anschließt und mit der exzentrischen Mädchengang aus Manhattan durch den Großstadtdschungel von New York cruist. Auf den Brettern, die die Welt bedeuten, lernt Camille wahre Freund_innenschaft kennen. Crystal Moselle’s Spielfilmdebüt basiert auf dem Instagram Feed der realen Skate Kitchen. In lichtdurchfluteten Bildern, ständig in Bewegung, zeigt sie fluide und feministische Identitätskonstruktionen, Freiheit, Zusammenhalt und die Bedeutung von Gemeinschaft im Erwachsenwerden.

TRANSNISTRA

Freund_innenschaft in einem schier endlosen Sommer, ständig beisammen, ständig draußen, ständig unterwegs. Seinen jugendlichen Protagonist_innen ist die Kamera in Anna Eborns Dokumentarfilm ein streunender Begleiter. Die Jugendlichen eignen sich Räume an, spielen, denken, leben und lieben von Tag zu Tag. Die betonte Körperlichkeit der Gruppe übersetzt sich in wunderbare warme, lichtdurchflutete Filmbilder und fast nebenbei wird der durchaus nicht immer einfache Alltag einzelner Familien dieser Kleinstadt in Transnistrien miterzählt. Eine berührende Geschichte über das Erwachsenwerden, die an einen spezifischen Ort gebunden ist und dennoch fast überall stattfinden könnte.

阿莉芙, Ā LÌ FÚ

Alifu hat sich in Taipeh, weit entfernt vom ländlichen Geburtsort, ein neues Leben aufgebaut. Die queere Wahlfamilie in der Hauptstadt gibt Liebe, Halt und Perspektiven. Alifus Vater wünscht sich, dass Alifu seine Nachfolge als Chief der Paiwan antritt, aber mit Alifus Lebensrealität lässt sich dieser Wunsch scheinbar schwer vereinbaren. Ein warmherziges Drama, basierend auf einer wahren Begebenheit, das Geschichten aus der Gemeinschaft um Alifu zu einer universellen Erzählung über Liebe und Anerkennung, Freund_innenschaft und Familie, Krankheit und Tod verwebt. Ein Film der mal in stillen Tönen und mal so zuckerlbunt-überbordend wie eine taiwanische Soap Opera berührt.

FLATLAND

Ein Pferd, eine Pistole und zwei uns völlig in den Bann ziehende Charaktere, die sich ihren Weg durch weite Landstriche Südafrikas bahnen: die junge Natalie, frisch verheiratet, die in ihrer verheerenden Hochzeitsnacht jedoch sogleich wieder Reißaus nimmt, und die Kriminalpolizistin Beauty Cuba, die stets den Riecher für die richtige Fährte hat und niemals locker lässt. Jenna Cato Bass’ dritter Spielfilm ist eine subversive Hommage an das Western-Genre: Atemberaubend in der Bildgestaltung, feministisch in der Themensetzung, kompromisslos in seinen Figuren, die jedoch voller Widersprüche und Ambivalenzen stecken. In FLATLAND werden Waffen in unvermuteten Momenten gezückt, der Film zeichnet sich außerdem durch eine lustvolle Nahverwandtschaft zu triefenden Telenovelas aus.