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ANHELL69

Eigentlich hätte ein Spielfilm entstehen sollen. Eine Geistergeschichte, in der die Toten mit den Lebenden koexistieren und sexuelle Beziehungen zueinander haben. Montiert werden Castings, geisterhafte Begegnungen und extravagante Partyszenen. Substanzen, Exzess und die ständige Präsenz des Todes sind vorherrschend. Ein Leichenwagen fährt durch die Straßen, darin die lebendige Leiche des Regisseurs. Theo Montoya erzählt in seinem Regiedebüt vom Erwachsenwerden in Medellín – einer Stadt, die einem Friedhof gleicht. Eine Stadt ohne Väter, eine konservative, gewalttätige Stadt. Versatzstücke queerer Subkultur, Fiktionen und Erinnerungen einer queeren Generation, für die es in der repressiven Mehrheitsgesellschaft Medellíns keinen Platz gibt. Ein gnadenloses Manifest zwischen Hoffnungslosigkeit und Aufbegehren.

EL ROSTRO DE LA MEDUSA

Marina wacht eines Morgens auf. Im Spiegel erkennt sie sich selbst nicht wieder. Ein ihr völlig unbekanntes Gesicht blickt ihr entgegen. Marina flüchtet sich ins Haus ihrer Eltern, wo sie die Fotoalben der Familie auf Ähnlichkeiten zwischen ihr und den Fotos ihrer Familie durchforstet. Zur Überprüfung ihrer Identität muss sie sich unüberbrückbaren Hürden bei Behörden stellen, auch die Suche nach einer Erklärung mit ärztlicher Unterstützung verläuft ins Leere und lässt sie ratlos zurück. Je mehr Zeit vergeht, umso stärker drängt sich die Frage auf, wer Marina denn ist, wenn sie ihrer Familie nicht mehr ähnlich sieht. Es eröffnet sich ein neues Leben, eines, das auf der Auseinandersetzung gründet, inwiefern unser Aussehen mit unserem Selbst und unserer Persönlichkeit zusammenhängt, welche Rolle andere nahestehende Personen dabei übernehmen und was Transition und Identitätsänderung in all ihren Facetten eigentlich bedeuten. THE FACE OF THE JELLYFISH ist eine komisch-absurde Konfrontation mit diesem neuen Verständnis von menschlicher Identität, auch ein augenzwinkernd grotesker Vergleich von Säugetieren, Reptilien, Vögeln und Wassertieren aller Art kommt dabei nicht zu kurz.

ALL THE COLOURS OF THE WORLD ARE BETWEEN BLACK AND WHITE

Während Bambino und Bawa tagelang gemeinsam durch Lagos streifen, um die zahlreichen Facetten der Stadt zu fotografieren, entspinnt sich zwischen den beiden ein unerwartetes Beziehungsgeflecht, eine Annäherung unterschiedlicher Erfahrungswelten. Konzentrierte, ruhige Bilder und ein unaufdringliches Farbspiel lassen die Sinnlichkeit und Nähe der beiden zueinander laut werden. Im Aufkeimen einer zärtlichen Liebe werden die Widersprüchlichkeiten, Feindseligkeiten und komplexen Politiken vor Ort beinahe greifbar. Die Millionenstadt Lagos tritt als Schauplatz ungehalten und gewaltvoll in Gestalt, während in ihren Zwischenräumen Möglichkeitsformen der Freiheit erkundet werden. In seinem politisch höchst brisanten und zutiefst aufwühlenden Spielfilmdebüt erzählt Babatunde Apalowo von Liebe, und von Liebe, die nicht gelebt werden kann.

THE TUBA THIEVES

Zwischen 2011 und 2013 verschwinden auf mysteriöse Weise Tubas aus Musikschulen in Los Angeles. Der Film begleitet Nyke Prince und Geovanny Marroquin, die fiktionalisierte Versionen ihrer selbst verkörpern, über die Jahre der Überfälle. In ihrem Debütfilm nähert sich Alison O’Daniel den Auswirkungen dieser Ereignisse aus einer unerwarteten Perspektive. Denn um gestohlene Tubas geht es eigentlich nicht, sondern vielmehr darum, was es bedeutet, zuzuhören. Die Geschichten der Protagonist_innen werden mit Reenactments von avantgardistischen Konzerten verschränkt, die „Stille“ zelebrieren – etwa John Cages 1952 uraufgeführtes Werk 4’33”. Den erzählerischen Faden zwischen Zeiten und Orten bildet nicht nur das Verhältnis von Gehörlosigkeit zur Musik, sondern auch ein Gefühl dafür, wie Menschen, Tiere, Pflanzen und die Umwelt durch Klang, Musik, Lärm und die Anwesenheit ihrer vermeintlichen Abwesenheit beeinflusst und verbunden sind. Aus dieser vielschichtig-hybriden Kinematografie entsteht ein warmherziges und ausgelassenes Porträt einer Gruppe an Gehörlosen Protagonist_innen in Los Angeles.

MUTT

An einem New Yorker Sommertag begleiten wir Feña im Hin und Her zwischen unbekannten Wohnungen und einem leeren Gastank, vergessenen Wohnungsschlüsseln und Geldbörsen. Über eine Zeitspanne von 24 Stunden nehmen wir in diesem liebenswürdigen Setting aus Chaos und Hektik teil an Feñas stetem Zögern, Nähe zu liebgewonnenen Menschen und auch sich selbst zuzulassen oder Distanz aufzubauen. Im Aufeinandertreffen mit dem Ex-Partner, dem plötzlichen Auftauchen der jüngeren Schwester und der Organisation eines Besuchs des Vaters aus Chile stellt sich für Feña die Herausforderung, durch Beziehungskonstellationen zu navigieren, die sich in einem Dazwischen aus Vergangenem und dessen Relevanz in der Jetztzeit abspielen. In Feñas Ausloten intimer Beziehungen konfrontiert uns Vuk Lungulov-Klotz im Debütfilm MUTT mit einer zutiefst menschlichen Erfahrungsdimension von Liebe, Gender und einem Dazwischen von Trans-ness und dem Leben als solches.

MAPUTO NAKUZANDZA

Morgendämmerung in Maputo – Im Radio berichtet der Sender Maputo Nakudzandza vom Verschwinden einer Braut. Während Menschen von Nachtclubs nach Hause gehen, Morgensport betreiben und ein Tourist durch die Gegend streift, stehen andere auf und machen sich auf den Weg zur Arbeit. Ariadine Zampaulo nimmt uns einen Tag lang mit in die Gleichzeitigkeit des Geschehens in Mosambiks Hauptstadt. Ein kaleidoskopischer Blick auf einen Ort, gebündelt in Geschichten, in deren Dichte unterschiedlichste Realitäten und Fiktionen aufeinandertreffen. Momente der Verbundenheit, geplante und unerwartete Begegnungen spinnen ein narratives Netz über Maputo. Tanzchoreografien auf den Dächern, Poesie in den Straßen und pochende Soundscapes einer Stadt, durchzogen von den Spuren einer kolonialen Vergangenheit. In kleinen, jedoch präzisen Gesten macht uns dieser Film auf die subtilen Zwischentöne einer urbanen Polyphonie im Jetzt aufmerksam.

ALBAHR `AMAMAKUM

Unerwartet ist Jana wieder in Beirut. In Paris kehrt sie ihrem Kunststudium und unzähligen Gelegenheitsjobs den Rücken. Was Jana zur abrupten Rückreise bewegt hat, bleibt ungewiss. Zurück bei ihren Eltern, tut sie sich schwer, sich wieder einzufinden und Interesse an ihrem gewohnten Leben, Familie und Freund_innen zu finden. Nur Adam scheint Janas Flucht fassen zu können und gemeinsam beginnen sie eine stimmungsvolle Reise durch die Stadt bei Nacht. Während wir die neu gebauten Viertel wie Geisterstädte kontemplativ vorbeiziehen sehen und die Kamera in dieser neuen urbanen Architektur stets auf der Suche nach dem Ausblick aufs Meer ist, geben atemberaubende Aufnahmen von Beirut mit vielschichtigen visuellen und akustischen Atmosphären der existenziellen Leere der Protagonist_innen zunehmend einen Rahmen. Ely Dagher verwebt in diesem fesselnden Debütfilm das Werden eines krisengebeutelten Beiruts mit der existenziellen Suche und dem Wiederfindungsprozess der jungen Jana.

KOKOMO CITY

Morgenroutinen und Gespräche im Bett, Gossip und Real Talk. In Begegnungen und Interviews porträtiert D. Smith vier Schwarze trans* Sexarbeiterinnen in New York und Georgia. Ungeschönt und lustvoll erzählen die Protagonistinnen aus ihrem Leben. Dabei entzünden sich tiefgehende und leidenschaftliche Gespräche über verstrickte gesellschaftspolitische und soziale Realitäten genauso wie scharfe Analysen über Zugehörigkeit und Identität innerhalb der eigenen Communities. In eindringlichen Schwarz-Weiß-Bildern zu einem bewegten Soundtrack entsteht ein Flow an selbstbestimmten Inszenierungen, performativen Interventionen und assoziativen Collagen. Zwischen Stereotypisierung und Care, Gewalt und Fetischisierung, Begehren und Zugewandtheit werden hier die Beziehungsgeflechte zu Lovers, Freund_innen und Familien, zu Communities und Kontexten in all ihrer Komplexität und Ambiguität nachgezeichnet. KOKOMO CITY ist eine Wucht an widerständigen Erzählungen und lustvollen Kämpfen, die sich von Dominanzgesellschaften nicht gegeneinander ausspielen lassen.

GIVE ME LIBERTY

Milwaukee, USA. Die Nerven zum Zerreißen gespannt, kämpft Fahrtendienstmitarbeiter Vic gegen die Umstände und die Zeit. Ausgerechnet an diesem ohnehin schon dichten Arbeitstag müssen sein aus Russland emigrierter Großvater und dessen Freund_innen zu einem Begräbnis chauffiert werden. Auch sie finden in Vics Kleinbus und in der improvisierten Zweckgemeinschaft Platz. Weil die Straßen auf ihrer üblichen Route aufgrund von Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt gesperrt sind, muss Vic umdenken. Im Versuch, das sich anbahnende Chaos zu kontrollieren, verzettelt er sich zunehmend in Verpflichtungen, Beschwichtigungen, Bedürfnissen der ihm anvertrauten Passagier_innen und eigenen Träumen. Kirill Mikhanovskys turbulentes wie berührendes Großstadt-Roadmovie GIVE ME LIBERTY ist eine kinetische Erfahrung von immenser Wucht und Wahrhaftigkeit. Die neue Route ist gesäumt von jenen kleinen magischen Momenten zwischenmenschlicher Begegnungen und Solidarität, die uns durch den Tag tragen – auch wenn man zunächst bereut hat, überhaupt aufgestanden zu sein. (lm)

MONEYBOYS

Fei hat das Dorf, in dem er aufgewachsen ist, zurückgelassen und verdient seinen Lebensunterhalt in Beijing als Sexarbeiter, als Moneyboy. In der Großstadt trauert er seiner ersten Liebe, seinem Mentor Xiaolai, nach und muss sich im Spannungsverhältnis zwischen vielfältigen Lebensentwürfen und ökonomischer Verantwortung für seine Familie behaupten. Die unerwartete Wiederbegegnung mit seinem Jugendfreund Long fordert das fragile Gleichgewicht heraus. In seinem ersten Langspielfilm gelingt es C.B. Yi mit kluger Beobachtungsgabe Feinheiten und Zwischentöne von Lebensentwürfen in einer patriarchal strukturierten Gesellschaft einzufangen. In langen visuell eindrucksvollen Einstellungen gibt MONEYBOYS Zeit zum Mitfühlen, erzählt explizit, lässt aber auch bewusst narrative Lücken und gibt so Raum für Imagination. (dp)