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WOS TUR I? ÜBER DIE NOTWENDIGKEIT DES ERZÄHLENS

Erzählen als unermüdliche, widerständige, zutiefst feministische Praxis. Erzählen der eigenen Geschichte, Erzählen dessen, was allzu oft nicht gehört werden will. Maria Cäsar hat nie aufgehört zu erzählen. Übers Sprechen und Nicht-Sprechen im richtigen Moment. Über den Faschismus und über den Widerstand. Als Feministin und kommunistische Widerstandskämpferin hat sie sich dem antifaschistischen Kampf bis zu ihrem Tod im Jahr 2017 verschrieben. Barbara Wilding und ihre Editorin Maria Otter verdichten Aufnahmen aus dem Archiv mit Gesprächen über das Weiterwirken dieser Erzählpraxis im Jetzt. Ausgehend von der Frage „Wos tur I?“, mit der sie sich in der Steiermark in den 1930er Jahren angesichts des aufkeimenden Faschismus konfrontiert sah, erzählt Maria Cäsar sich im Film selbst, quer durch unterschiedliche Zeiten, Momente und Kontexte. Als Zeitzeugin bei Fanta und Chips mit Jugendlichen, im Fernsehinterview, beim Spritzertrinken mit Genossinnen und in ihrer Rolle im persönlichen und politischen Umfeld. Es entsteht das Bild einer Kämpferin, die keinen Zweifel daran lässt, dass die Dringlichkeit des fortwährenden Kampfes gegen den Faschismus und die Notwendigkeit des Erzählens über das Unaussprechbare für immer bestehen bleiben.

VAI E VEM

Seit Längerem schon hatten Fernanda Pessoa und Chica Barbosa eine Zusammenarbeit geplant, in der sie sich die politische und kollektive Agency des Kinos zunutze machen. 2020 führt die Sehnsucht der beiden Filmemacherinnen, sich auszutauschen, zu einer Reihe von audiovisuellen Essays zwischen São Paulo und Los Angeles. Ein Dialog in Form von Video-Letters, entstanden in kollaborativer und offener Autor_innenschaft, wird zum Ausdruck einer experimentellen feministischen Filmpraxis. Im Drei-Wochen-Takt entsteht ein filmischer Briefwechsel, der auf Intimität und Freund_innenschaft gründet und mit Arbeiten von 16 weiteren inspirierenden Experimentalfilmemacherinnen in Bezug gesetzt wird. Ein Spiel mit Formen und Formaten sowie Einblicken in das, was die Autorinnen bewegt und einander im Leben mitgeteilt werden möchte. VAI E VEM zeichnet eine Momentaufnahme Brasiliens und der USA in politisch turbulenten Zeiten und ist eine sinnliche Annäherung an Kommunikation in stetiger Veränderung, eine formale Manifestation der physischen Nähe zweier Freundinnen, die sich über die Distanzen zwischen den nördlichen und südlichen Amerikas hinwegsetzt.

EDELWEISS

Ein kritischer Liebesbrief an ein Land, das ein besserer Ort für diejenigen werden muss, die es seit Jahren zu einem besseren Ort machen. Der performative Dokumentarfilm verwebt selbstbestimmte Positionen und Sichtweisen von People of Colour in Österreich und fragt, welche Beziehung überhaupt zu einem Land lebbar ist, das von strukturellen Rassismen und Alltagsdiskriminierung durchdrungen ist. Im gemeinsamen Sprechen erscheinen Räume und Zwischenräume, die es möglich machen, sich zu verorten, zu empowern und selbstverständlich zu existieren. Anna Gaberscik montiert Performances und Interviews zu einer vielschichtigen Reflexion über zermürbende Kämpfe, dringliche Artikulationen und lustvolles Unterwandern von Identitätszuschreibungen – die komplizierte Liebesbeziehung all derer, die hier sind und deshalb auch von hier sind. EDELWEISS macht komplexe Verbindungen, Verbundenheiten und Bezogenheiten sichtbar und hält damit einer ebenso dominanten wie fragilen und unhaltbar weißen Identitätskonstruktion von Österreich den Spiegel vor.

LINGUI

Amina lebt mit ihrer 15-jährigen Tochter Maria in einem Vorort von N’Djamena. Durch Upcycling alter LKW-Reifen zu Feuerschalen verdient sie ihren Lebensunterhalt. Als Maria schwanger wird und sich zu einem Schwangerschaftsabbruch entschließt, ist Amina mit der Realität restriktiver Gesetzgebung und religiöser Verurteilung konfrontiert. Sie setzt alles daran, ihre Tochter dabei zu unterstützen, den bereits ihr selbst widerfahrenen Zyklus sexualisierter Gewalt zu durchbrechen und schlussendlich Rache zu üben, um an den strukturellen Mechanismen patriarchaler Vorherrschaft zu rütteln. LINGUI ist ein kraftvolles Plädoyer für Tatkraft und Resilienz angesichts widrigster Umstände. Mutter und Tochter erfahren Solidarität und Kinship durch den von Generation zu Generation weitergelebten Zusammenhalt unter Frauen im sozialen Gefüge, genannt Lingui, das heilige Band. (dp)

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Wegen Sturmwarnung konnte die Vorführung von LINGUI im Juli bei Kaleidoskop – Film und Freiluft am Karlsplatz 2022 leider nicht stattfinden. Wir freuen uns umso mehr, die Wien-Premiere des Films nun im Rahmen einer winterlichen Matinée im Filmcasino (Margaretenstr. 78, 1050 Wien) zu feiern.

Eintritt frei!
Freikarte reservieren: filmcasino.at/film/lingui/

Barrierefreiheit
• Barrierefreier Zugang
• Induktionsanlage für Träger_innen von Hörgeräten/-implantaten
• Werkseinführung mit Dolmetschung in Österreichische Gebärdensprache
• Film: Arabisch/Französisch mit englischen & deutschen Untertiteln für gehörlose und schwerhörige Menschen

Herzlichen Dank der Bezirksvorstehung & Kulturkommission Margareten und dem Filmcasino-Team für die Unterstützung!

GIVE ME LIBERTY

Milwaukee, USA. Die Nerven zum Zerreißen gespannt, kämpft Fahrtendienstmitarbeiter Vic gegen die Umstände und die Zeit. Ausgerechnet an diesem ohnehin schon dichten Arbeitstag müssen sein aus Russland emigrierter Großvater und dessen Freund_innen zu einem Begräbnis chauffiert werden. Auch sie finden in Vics Kleinbus und in der improvisierten Zweckgemeinschaft Platz. Weil die Straßen auf ihrer üblichen Route aufgrund von Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt gesperrt sind, muss Vic umdenken. Im Versuch, das sich anbahnende Chaos zu kontrollieren, verzettelt er sich zunehmend in Verpflichtungen, Beschwichtigungen, Bedürfnissen der ihm anvertrauten Passagier_innen und eigenen Träumen. Kirill Mikhanovskys turbulentes wie berührendes Großstadt-Roadmovie GIVE ME LIBERTY ist eine kinetische Erfahrung von immenser Wucht und Wahrhaftigkeit. Die neue Route ist gesäumt von jenen kleinen magischen Momenten zwischenmenschlicher Begegnungen und Solidarität, die uns durch den Tag tragen – auch wenn man zunächst bereut hat, überhaupt aufgestanden zu sein. (lm)

MONEYBOYS

Fei hat das Dorf, in dem er aufgewachsen ist, zurückgelassen und verdient seinen Lebensunterhalt in Beijing als Sexarbeiter, als Moneyboy. In der Großstadt trauert er seiner ersten Liebe, seinem Mentor Xiaolai, nach und muss sich im Spannungsverhältnis zwischen vielfältigen Lebensentwürfen und ökonomischer Verantwortung für seine Familie behaupten. Die unerwartete Wiederbegegnung mit seinem Jugendfreund Long fordert das fragile Gleichgewicht heraus. In seinem ersten Langspielfilm gelingt es C.B. Yi mit kluger Beobachtungsgabe Feinheiten und Zwischentöne von Lebensentwürfen in einer patriarchal strukturierten Gesellschaft einzufangen. In langen visuell eindrucksvollen Einstellungen gibt MONEYBOYS Zeit zum Mitfühlen, erzählt explizit, lässt aber auch bewusst narrative Lücken und gibt so Raum für Imagination. (dp)

KRAI

Mit dem Vorhaben einen »historischen Film« drehen zu wollen, reist der in Russland geborene Regisseur Aleksey Lapin mit einem Filmteam von Wien nach Jutanovka, jenes nahe bei der ukrainischen Grenze liegende Heimatdorf seiner Verwandten, in dem er früher selbst jeden Sommer verbracht hat. Inmitten der Dorfrealität von Volksfest, Kirchgang und Arbeitsalltag entsteht ein filmisches Spiel zwischen Team und Dorfgemeinschaft. Ein Casting wird abgehalten, am Fluss über das Kino sinniert und der Drehprozess selbst reflektiert. Krai bedeutet auf Russisch Rand oder Grenze. Mit feiner Ironie und liebevollem Interesse für Wunderliches wandelt auch der Film an den Grenzen von Dokumentarfilm und Spielfilm, zeitlos und zeitnah zugleich in Schwarzweiß gesetzt. Zwischen inszenierten Szenen und alltäglichen Beobachtungen entsteht ein Bild der Realität, das sich eindeutigen Zuschreibungen entzieht. Über ihm steht die Vision: »Das Kino muss verschiedene Welten zusammenbringen, unterschiedliche Leute verbinden. Und uns am Ende daran erinnern, dass wir Teil einer Menschheit sind.« (lm)

LINGUI

Amina lebt mit ihrer 15-jährigen Tochter Maria in einem Vorort von N’Djamena. Durch Upcycling alter LKW-Reifen zu Feuerschalen verdient sie ihren Lebensunterhalt. Als Maria schwanger wird und sich zu einem Schwangerschaftsabbruch entschließt, ist Amina mit der Realität restriktiver Gesetzgebung und religiöser Verurteilung konfrontiert. Sie setzt alles daran, ihre Tochter dabei zu unterstützen, den bereits ihr selbst widerfahrenen Zyklus sexualisierter Gewalt zu durchbrechen und schlussendlich Rache zu üben, um an den strukturellen Mechanismen patriarchaler Vorherrschaft zu rütteln. LINGUI ist ein kraftvolles Plädoyer für Tatkraft und Resilienz angesichts widrigster Umstände. Mutter und Tochter erfahren Solidarität und Kinship durch den von Generation zu Generation weitergelebten Zusammenhalt unter Frauen im sozialen Gefüge, genannt Lingui, das heilige Band. (dp)

ATLANTIQUE

Dakar, zwischen Skeletten futuristischer Luxusbauten und der Realität der Arbeitssuchenden in der Baubranche. Ada, die den wohlhabenden Omar heiraten soll, wird heimgesucht von ihrem Geliebten Souleiman, der als unbezahlter Bauarbeiter bei der Überfahrt über den Atlantik auf offener See mit anderen Wirtschaftsflüchtenden ums Leben gekommen ist. Auf hypnotisch-fesselnde Weise erzählt Mati Diop die Geschichten jener Frauen die geblieben sind: Mütter, Schwestern und Geliebte jener um ihre Löhne geprellten Arbeitssuchenden, die in ihrem Migrationsbestreben an der verheerenden Asymmetrie globaler Migrationspolitik gescheitert sind. Ihre in Unfrieden von dieser Welt gegangenen Geister hallen nach. In einem kollektiven Akt begehren die trauernden Frauen auf gegen die kolossale Ungerechtigkeit und verlangen, dass die offene Rechnung von jenen beglichen wird, die die Verschärfung des sozialen Gefälles durch ihr Machtstreben zu verschulden haben. (dp)

VICTORIA

In der Wüste Südkaliforniens liegt California City, eine in den 1950er Jahren geplante Stadt, die Los Angeles Konkurrenz machen sollte. Nur in den Sand gezogene Straßenzüge, verblasste Straßenschilder und einige wenige Siedlungen erinnern an die Mega-City, die bis heute nicht fertiggestellt wurde. Vor dieser abstrakten Kulisse lernen wir Lashay kennen, der seine turbulente Vergangenheit in L. A. hinter sich gelassen hat, um mit seiner Familie einen Neuanfang zu wagen. Über den Zeitraum von zwei Jahren begleiten wir das Suchen, Ankommen und Orientieren in dieser immensen Planstadt mitten in der Wüste. Virtuelle Stadtansichten, Handyvideos und dokumentarische Bilder lassen hoffnungsvolle Lebensrealität und gescheiterte Stadtimagination in einem gespaltenen Land aufeinandertreffen und geben Einblick in das Leben der wenigen Bewohner_innen einer geisterhaft leeren Stadt.