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KEIKO, ME WO SUMASETE

Basierend auf der Autobiografie der Gehörlosen Profiboxerin Keiko Ogasawara zeichnet Shô Miyake in KEIKO, ME WO SUMASETE eine beeindruckende Charakterstudie der willensstarken Boxerin Keiko, deren unbändiger Kampfgeist und Durchhaltevermögen auf die Probe gestellt wird, als sie sich neben den Kämpfen im Boxring beruflichen und emotionalen Herausforderungen stellen muss. Die Gesundheitsprobleme und das schwindende Augenlicht ihres Coachs überschatten zunehmend den Trainingsalltag. Die Situation spitzt sich zu, als die Schließung ihres Gyms in Tokio im Raum steht und der wohlwollende Support seitens ihres Bruders in allen Lebenslagen auf der Kippe steht. Gedreht auf 16mm in einem historischen Stadtteil von Downtown Tokio, erzählt der Film mit messerscharfer Präzision und mit feinstem Gespür von Entscheidungshorizonten im beeindruckenden Leben einer jungen Erwachsenen.

VAI E VEM

Seit Längerem schon hatten Fernanda Pessoa und Chica Barbosa eine Zusammenarbeit geplant, in der sie sich die politische und kollektive Agency des Kinos zunutze machen. 2020 führt die Sehnsucht der beiden Filmemacherinnen, sich auszutauschen, zu einer Reihe von audiovisuellen Essays zwischen São Paulo und Los Angeles. Ein Dialog in Form von Video-Letters, entstanden in kollaborativer und offener Autor_innenschaft, wird zum Ausdruck einer experimentellen feministischen Filmpraxis. Im Drei-Wochen-Takt entsteht ein filmischer Briefwechsel, der auf Intimität und Freund_innenschaft gründet und mit Arbeiten von 16 weiteren inspirierenden Experimentalfilmemacherinnen in Bezug gesetzt wird. Ein Spiel mit Formen und Formaten sowie Einblicken in das, was die Autorinnen bewegt und einander im Leben mitgeteilt werden möchte. VAI E VEM zeichnet eine Momentaufnahme Brasiliens und der USA in politisch turbulenten Zeiten und ist eine sinnliche Annäherung an Kommunikation in stetiger Veränderung, eine formale Manifestation der physischen Nähe zweier Freundinnen, die sich über die Distanzen zwischen den nördlichen und südlichen Amerikas hinwegsetzt.

GIVE ME LIBERTY

Milwaukee, USA. Die Nerven zum Zerreißen gespannt, kämpft Fahrtendienstmitarbeiter Vic gegen die Umstände und die Zeit. Ausgerechnet an diesem ohnehin schon dichten Arbeitstag müssen sein aus Russland emigrierter Großvater und dessen Freund_innen zu einem Begräbnis chauffiert werden. Auch sie finden in Vics Kleinbus und in der improvisierten Zweckgemeinschaft Platz. Weil die Straßen auf ihrer üblichen Route aufgrund von Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt gesperrt sind, muss Vic umdenken. Im Versuch, das sich anbahnende Chaos zu kontrollieren, verzettelt er sich zunehmend in Verpflichtungen, Beschwichtigungen, Bedürfnissen der ihm anvertrauten Passagier_innen und eigenen Träumen. Kirill Mikhanovskys turbulentes wie berührendes Großstadt-Roadmovie GIVE ME LIBERTY ist eine kinetische Erfahrung von immenser Wucht und Wahrhaftigkeit. Die neue Route ist gesäumt von jenen kleinen magischen Momenten zwischenmenschlicher Begegnungen und Solidarität, die uns durch den Tag tragen – auch wenn man zunächst bereut hat, überhaupt aufgestanden zu sein. (lm)

EL GRAN MOVIMIENTO

Nach einem siebentägigen Marsch erreichen drei Minenarbeiter die bolivianische Hauptstadt La Paz. Hier wollen sie sich den Arbeiter_innenprotesten anschließen, Arbeit suchen und eine neue Existenz aufbauen. Doch die Eindrücke sind überfordernd, die Perspektiven rar und einer von ihnen, Elder, erkrankt an einem heftigen Fieber. Um ihm zu helfen, wird ein Schamane gerufen. Dessen düstere Visionen vom Untergang La Paz’ und der Welt scheinen auf rätselhafte Weise verschränkt mit der Erkrankung des jungen Mannes. EL GRAN MOVIMIENTO ist ein fiebriges, auf 16-mm-Filmmaterial gedrehtes traumwandlerisches und oft rätselhaftes Werk, dessen Aufmerksamkeit jenen Unsichtbaren in der Stadt gehört, die ignoriert werden, bevor sie am Ende ganz verschwinden. In einer Zoom-Bewegung ins Innere dieser Stadt präsentiert sich La Paz als undurchsichtiges Netz von Verbindungen – einer rigiden Unterscheidung zwischen Arm und Reich und ungerechten Verteilung von Gütern, die eine noch viel umfassendere Heilung nötig machen. (lm)

BEATRIX

Beatrix verbringt den Sommer im Garten, in einem Haus am Stadtrand. Flirrende Hitze, Sonne auf der Haut, in der Hand ein Gartenschlauch. Zehen in der Luft und Weintrauben im Bauchnabel. Allein mit sich, nicht ganz, aber doch. Nichts tun, oder eben irgendetwas tun. Zähneputzen, in der Wiese liegen, ausziehen, umziehen. Manchmal kommt jemand vorbei. Sein ist irgendwie leicht und zugleich auch anstrengend. Auch wenn nicht wirklich viel passiert, passiert immer etwas. Am Himmel ziehen Wolken vorbei und vielleicht kitzelt das Gras im Rücken. Die Zeit zieht sich wie ein Kaugummi. Dosenpfirsich, Palatschinken und die Angst vor der Unendlichkeit. Im Teletext blitzt die Welt hinein und ins Außen wird übers Telefon gefunkt. Berührt wird alles und nichts, weil alles schön, lustig und seltsam nichtig zugleich ist. Entschleunigt und rätselhaft erzählt sich das Leben in den Tag. In traumnahen, präzisen Bildern entsteht ein fragiles und dennoch gewichtiges Gefüge zwischen Körper und Raum, in dem sich Möglichkeiten von Intimität und Erzählung offenbaren. (dca)

NO TÁXI DO JACK

Joaquim steht kurz vor der Pensionierung, als Portugal von einer Wirtschaftskrise getroffen wird. Arbeitsamt, Arbeitssuche und Vorstellungsgespräche bestimmen seinen Alltag. Mit Pomade im Haar, der perfekten Elvis-Tolle und bunt gemusterten Hemden steuert Joaquim gelassen von Gespräch zu Gespräch und von Firma zu Firma, im Wissen nie wieder aktiv ins Arbeitsleben einzusteigen. Die Stempel müssen dennoch gesammelt werden, um seine Bemühungen beim Arbeitsamt vorweisen zu können. Seine Fahrten führen in lichtdurchfluteten Bildern auf 16-mm-Filmmaterial durch verlassene Industrielandschaften und vorbei an stillgelegten Fabriken. Reflexionen über Zeit und Alltag verweben biografische Versatzstücke mit Fragmenten der jüngsten Geschichte Portugals. Joaquims Erzählungen zeichnen eine Landkarte von Erinnerungen und kartographieren sein Erleben als Taxifahrer im New York der 1970er Jahre. Im Kopf entstehen traumhafte Bilder eines bewegten Lebens in einer pulsierenden Stadt. (mch)